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Todeslenker vor Gericht

Amok-Prozess: Duell der starken Frauen

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Zurechnungsfähig oder nicht? Um diese Frage stritten die zwei Expertinnen vor Gericht.

Der Prozess des Jahres wurde zu einem Duell der starken Frauen. Auf der einen Seite die smarte Anwältin ­Liane Hirschbrich. Ihr Job: 
Sie musste Alen R. (27), den Amokfahrer von Graz, verteidigen. Er tötete im Sommer letzten Jahres mit seinem SUV drei Menschen in der Grazer Innenstadt, mähte über 100 weitere um, verletzte sie zum Teil sehr schwer.

Hirschbrich setzte darauf, dass ihr Mandant Alen R. (27) für nicht zurechnungsfähig erklärt wird, hatte immerhin zwei von drei Gutachtern auf ihrer Seite. Doch der Plan ging für die gebürtige Russin mit Kanzlei in der Wiener City am Schluss nicht auf.

Psychologin brachte die Wende vor Gericht

Am letzten Prozesstag trat Psychologin Anita Raiger auf. Sie brachte die Wende vor Gericht. Raiger überzeugte die Geschworenen, dass der Angeklagte sehr wohl zurechnungsfähig gewesen sei. Die Kriminalpsychologin erklärte, „er hat sich von der Gesellschaft verfolgt gefühlt“. Der letzte Auslöser zur Tat sei die Trennung von seiner Frau gewesen: „Das gekränkte Männlichkeitsmodell erklärt die Tat.“ Die Erkenntnisse seien zu dünn für eine „psychotische Erkrankung“. Prozess-Beobachter sind sich einig: Raigers Auftritt war „souverän, schlüssig und nachvollziehbar“.

Nach einer kurzen Beratung sprachen die Geschworenen Alen R. schuldig. Er wurde – nicht rechtskräftig – zu lebenslanger Haft plus einer Einweisung in eine Anstalt verurteilt.

Über dieses Urteil wird noch lange diskutiert werden, denn: Die Geschworenen entschieden sich gegen die Mehrheit der Gutachter. Anwältin Hirschbrich attackiert jetzt die Geschworenen: „Sie mussten ihre Entscheidung ja noch nicht mal begründen.“

Anwältin: Volle Attacke gegen Justiz-System

„Wir melden auf ­jeden Fall Revision an“, stellte Liane Hirschbrich, die Anwältin von Alen R., gleich nach Prozessende klar. Für sie war das „gesamte Verfahren gegen meinen Mandanten von großen Emotionen geprägt“, die möglicherweise die Entscheidung der Geschworenen stark beeinflusst haben. „Spätestens jetzt sollte man sich fragen, ob wirklich juristische und medizinische Laien darüber zu entscheiden haben, ob ein Psychiater oder Psychologe eine richtige Diagnose gestellt hat.“ Was Hirschbrich noch ärgert:

Fachärzte

„Die Geschworenen müssen ihre Entscheidung noch nicht einmal begründen.“ Zynisch fügt sie noch hinzu: „Zum Glück entscheiden wenigstens in unseren Spitälern noch Fachärzte.“

Psychologin: "Es war im Sinne der Gerechtigkeit"

Sie war der Star vor Gericht: Psychologin Anita Raiger gewann den Kampf der Argumente.

Anita Raiger drehte den Amok-Prozess um. „Er ist ein hoch gefährlicher Mensch“, erklärte die Psychologin den Geschworenen und überzeugte sie alle, dass Alen R. auch ganz genau wusste, was er tat.

„Ich bin froh, dass es jetzt einen Abschluss gibt. Es ist vor allem wichtig für die ­Opfer“, sagt sie zu ÖSTERREICH. Konkrete Details zum Fall darf sie nicht besprechen, erst wenn das Urteil rechtskräftig ist. Aber: „Ich bin nicht glücklich, dass jemand ‚lebenslänglich‘ bekommt.“

Studium in New York

Raiger ist absolute Expertin: Sie studierte zuerst in Österreich Psychologie, danach bildete sie sich in den USA weiter. An der State University of New York lernte sie Kriminologie. Die Uni ist weltweit renommiert, berät sogar das FBI.

Alen R. kommt wohl nie wieder frei

Wer zu „lebenslänglich“ verurteilt wird, kommt meist dennoch wieder frei.

Lebenslange Haft! Alen R. wird wohl nicht wieder in Freiheit gelangen. „Es gibt Fälle, wo man davon ausgehen muss, dass die Gefährlichkeit immer fortbestehen wird“, sagt Friedrich Forsthuber, Präsident am Landesgericht für Strafsachen in Wien.

Aber: „Lebenslang“ heißt im österreichischen Strafvollzug eben oft nicht bis zum Tode. Bereits nach 15 Jahren kann ein lebenslänglich Verurteilter entlassen werden.

Durchschnittlich 18,9 Jahre dauerte zwischen 2011 und 2015 die Haftzeit, so Zahlen des Justizministeriums. 26 der 171 lebenslänglich Verurteilten, deren Haftzeit in den vergangenen 15 Jahren endete, starben auch in Haft. Die Mehrheit von 62 Prozent wurde dagegen bedingt entlassen.

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