137 Länder mischen mit

Jahrhundert-Reform im Steuersystem

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Unter OECD-Federführung soll Steuersystem modernisiert werden - Aus für Steueroasen.

Die Welt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant geändert, das internationale Steuersystem aber nicht. Die wertvollsten Unternehmen verdienen ihr Geld im Internet. Innerhalb der riesigen Konzerne werden die Gewinne hin- und hergeschoben und landen am Ende oft in Niedrigsteuerländern oder sogar Steueroasen.

So nutzen zwar Milliarden Konsumenten Internet-Dienstleistungen, viele Staaten bekommen von der Branche aber meist kaum Steuern ab. 137 Länder haben sich deswegen zusammengetan, um den Kuchen neu zu verteilen - ein Mammut-Projekt, Ausgang offen. Ein Überblick:

WAS IST DAS PROBLEM?

Das internationale Steuersystem bildet nicht die wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte ab - etwa den Aufstieg der Schwellenländer in Asien und den Siegeszug der amerikanischen Internetfirmen wie Amazon oder Google. Solche multinationalen Konzerne nutzen sehr geschickt legale Schlupflöcher und Steueroasen. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa zufolge wird das Vermögen in Steueroasen auf sieben Billionen Dollar (6,44 Billionen Euro) geschätzt - das sind acht Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Hier werden aber auch illegale Aktivitäten mitgerechnet.

Doch auch die legale Steuervermeidung ist bereits ein großes Problem für viele Länder. "Das bisherige System der internationalen Besteuerung ist auf die klassische Industrie mit Fabriken und Geschäftsräumen ausgerichtet. Die Steuern werden dort erhoben, wo die Betriebsstätten - mit Anlagen, Büros und Mitarbeitern - verortet sind", erklärt der deutsche Bundesfinanzminister Olaf Scholz. "Aber heute finden wirtschaftliche Aktivitäten oft in Clouds oder auf Webseiten mit Hilfe von Algorithmen statt. Damit fehlt der klassische Ansatz für die Besteuerung. Zugleich spielen in der Wertschöpfung Daten und Nutzerverhalten eine immer größere Rolle. Beide Aspekte sind mit den derzeitigen Steuerregeln kaum zu erfassen."

WAS WIRD DAGEGEN GETAN?

137 Länder haben sich zusammengeschlossen, um unter Federführung der Industriestaaten-Organisation OECD bis zum Jahresende die größte Steuerreform seit fast einem Jahrhundert hinzubekommen. Doch so groß die Ziele sind, so groß sind auch die unterschiedlichen Interessen. OECD-Chef Angel Gurria ist dennoch optimistisch, dass das Vorhaben gelingen kann. Bis zum Sommer sollen die Details stehen, das zweite Halbjahr dann für die Umsetzung genutzt werden.

IST DER ZEITPLAN REALISTISCH?

Gurria und Scholz glauben fest an eine Einigung. Fachpolitiker im Deutschen Bundestag sind dagegen skeptischer. Danyal Bayaz von den Grünen verweist unter anderem auf den US-Wahlkampf, der die Verhandlungen erschweren könnte. Zahlreiche Länder planen bereits eigene Digitalsteuern, sollte es auf internationaler Ebene keinen Kompromiss geben, oft auf die in diesen Ländern erzielten Umsätze. "Das kann die USA wesentlich mehr kosten", sagt Sebastian Benz, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner bei der Großkanzlei Linklaters in Düsseldorf. Er glaubt an eine Grundsatzeinigung in diesem Jahr. "Die Unternehmen erwarten jetzt auch Lösungen - und dazu gehört mehr Klarheit, wo wie viel besteuert wird. Das ist das, was die Politik die ganze Zeit schon verspricht."

WAS SIND DIE KNACKPUNKTE?

Es muss eine Formel gefunden werden, von der Schwellenländer wie Indien, China, Indonesien und Vietnam stärker profitieren - denn hier haben Netflix, Facebook & Co Millionen Kunden, zahlen ihre Steuern aber meist anderswo. Die USA wären neben Steueroasen vermutlich der größte Verlierer. Für Deutschland gehen die Schätzungen von einem in etwa gleichem Steueraufkommen aus, unter anderem weil andere Länder erfolgreichere Digitalfirmen haben.

Der jetzt auf dem Tisch liegende OECD-Ansatz führt Vorschläge der Schwellenländer, Großbritanniens und der USA zusammen. Digitale Dienstleistungen sollen künftig stärker in den Ländern besteuert werden, in denen die Endverbraucher zu Hause sind. Dies gilt aber nicht für Geschäfte zwischen Unternehmen.

Strittig ist vor allem, wie verbindlich die neuen Regeln sein sollen. Die US-Regierung pocht darauf, dass sie nur eine Option für Unternehmen sein sollen. Ansonsten gilt es als fraglich, ob der Kongress zustimmen wird. "Momentan ist das der Knackpunkt", sagt Steuerexperte Benz mit Blick auf das Optionsrecht. "Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass die ganze Arbeit umsonst war." Vor allem Frankreich ist strikt dagegen. Auch im Deutschen Bundestag wird ein Optionsmodell skeptisch gesehen: "Am Ende würde jede beteiligte Partei für sich das beste Modell wählen - und die Verteilungskonflikte würden bestehen bleiben", sagt Grünen-Politiker Bayaz. Fabio De Masi von den Linken pflichtet ihm bei, so würde das System noch komplizierter werden.

WAS PASSIERT BEI EINEM SCHEITERN?

Dann droht ein Fleckerlteppich. Nationale Digitalsteuern oder entsprechende Pläne gibt es bereits in Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Österreich. In allen Fällen sind die Platzhirsche aus dem Silicon Valley im Visier, was den von US-Präsident Donald Trump angezettelten Handelsstreit mit Europa bereits angeheizt hat. Die EU wird nach Experteneinschätzung einen neuen Anlauf für eine abgestimmte Digitalsteuer unternehmen, sollte der globale Ansatz nicht gelingen.

NATIONALE DIGITALSTEUERN PROBLEMATISCH?

Weltweit tätige Unternehmen könnten dann doppelt und dreifach besteuert werden, was eigentlich verhindert werden soll. "Wenn es keinen Streitschlichtungsmechanismus gibt, bleibt es bei dieser mehrfachen Belastung der Unternehmen", so Rechtsanwalt Benz. Der OECD-Ansatz enthält eine verpflichtende Streitschlichtung samt Schiedsgericht. Diese würde Firmen mehr Planungssicherheit geben als die weniger effektiven Maßnahmen in den Tausenden von Doppelbesteuerungsabkommen.

GIBT ES WEITERE VERHANDLUNGEN?

Ja. Parallel zu den Gesprächen, welche Länder künftig wie viel vom Steuerkuchen bei digitalen Dienstleistungen abbekommen, wird über eine globale Mindeststeuer verhandelt. Hier scheint eine Einigung leichter, weil die USA bereits ähnliche Regelungen haben. Der Teufel steckt aber im Detail. "Ein Kompromiss wird wohl zwischen zehn und 15 Prozent effektiver Steuerbelastung liegen", sagt Linken-Finanzpolitiker De Masi voraus. Das wäre gegenüber Bermuda & Co bereits eine Verbesserung. Irland hat mit 12,5 Prozent den niedrigsten Körperschaftssteuersatz in der EU. Diesen Wert dürfte deswegen die Europäische Union als Untergrenze ins Spiel bringen. Frankreich hat dies bereits getan. Deutschland will Finanzminister Scholz zufolge den neuen Digital-Regeln nur zustimmen, wenn es auch eine globale Mindeststeuer gibt. In Österreich liegt die Körperschaftssteuer, also die Gewinnsteuer für Unternehmen, derzeit bei 25 Prozent, die Regierung will sie auf 21 Prozent senken.

Sollten beide Reformstränge gelingen, dürfte es nach OECD-Schätzung weltweit 100 Milliarden Dollar pro Jahr an zusätzlichen Einkünften aus der Körperschaftsteuer geben. Das wären bis zu vier Prozent der heutigen Gesamteinnahmen. Die Mindeststeuer würde dabei für den Großteil der staatlichen Zusatzeinnahmen sorgen.

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