EU-Vorsitz

Migration: Österreich soll vermitteln

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Swoboda: EU habe in der Außen- und Sicherheitspolitik keine wirkliche Strategie.

Österreich sollte während des kommenden EU-Ratsvorsitzes zwischen verschiedenen Ansichten und Einstellungen in der Migrationsfrage vermitteln, empfiehlt der ehemalige SPÖ-Europaabgeordnete und frühere Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, im APA-Interview. Dabei gelte es aber, einigen osteuropäischen Staaten klarzumachen, dass sie auch einen Beitrag leisten müssten.
 
"Ich halte nichts von der Aufteilung der Flüchtlinge auf verschiedene Länder, vor allem, wenn die Länder nicht wollen und die Flüchtlinge nicht wollen", betonte Swoboda. Das mache keinen Sinn, aber eine finanzielle Beteiligung sei absolut richtig. Zwar sei es vernünftig, wenn Österreich darauf dränge, dass es "einen wirksamen Schutz an der Schengen-Grenze gibt", doch müssten hierfür auch die Voraussetzungen geschaffen werden, so Swoboda.
 

Vorschläge machen

Die Regierung forderte er auf, Vorschläge zu machen, "um das Gleichgewicht zwischen nationaler und regionaler Ebene auf der einen Seite, und europäischer Ebene auf der anderen Seite zu entwickeln". Nichts abgewinnen könne er dem Vorschlag der Bundesregierung, die Familienbeihilfe für Eltern, deren Kinder im EU-Ausland leben, zu indexieren. Zumindest eine Differenzierung wäre notwendig gewesen, denn viele Frauen aus Osteuropa würden in der 24-Stunden-Pflege arbeiten und könnten ihre Kinder gar nicht mitnehmen und "das würde bedeuten, dass wir diesen Frauen das Gehalt kürzen".
 
Kritik äußerte Swoboda daran, dass Kanzleramtsminister Gernot Blümel neben den EU-Agenden auch für Kunst, Kultur und Medien zuständig sei. "Das Problem ist, dass Minister Blümel so eine Fülle von Aufgaben hat", so dass er es bedauere, dass "da nicht eine Person ist, die sich besonders in Zeiten der Präsidentschaft" ausschließlich um EU-Agenden kümmere. Auch sehe er keine großen Unterschiede in der EU-Politik der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ, betonte Swoboda. "Beide Parteien sind eher darauf konzentriert, das Kritische zu sehen", anstatt zu sagen, "was die positiven Vorschläge zur Entwicklung der Europäischen Union sind".

Die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, gerade was eine Vertiefung der Eurozone betreffe, gingen in die richtige Richtung, zeigte sich der langjährige Europaabgeordnete (von 1996 bis 2014) überzeugt. "Da sollte Österreich dabei sein und könnte gleichzeitig dafür sorgen, dass jene Länder in Osteuropa, die bisher nicht der Eurozone angehören, sich nicht ausgeschlossen fühlen." Eine Verfassungsänderung sei aber unrealistisch, auch vor den Wahlen zum Europaparlament 2019 werde nicht allzu viel geschehen, betonte Swoboda, aber in drei bis vier Jahren "könnten wir schon eine gestärkte EU im Sinne des Kernes haben".
 

US-Handelsstreit

Im Handelsstreit mit den USA hänge eine Lösung von US-Präsident Donald Trump ab. "Wenn Trump politisch denkt, wird er es eskalieren. Wenn er ökonomisch denkt, wird er gar nicht viel davon haben", da der Handel so stark verflochten sei. Das US-EU-Freihandelsabkommen TTIP sei aber tot, während das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA "durchaus ein sinnvolles Abkommen" sei , "besonders nach den Nachbesserungen, die es gegeben hat", betonte Swoboda.
 
Die größere Herausforderung als das Verhältnis zu den USA sei aber jenes zu China, weil Peking sowohl durch Handel als auch durch die Übernahme von Unternehmen verstärkt versuche, Einfluss zu nehmen und politischen Druck auszuüben. Im Gegensatz zur EU habe China nämlich eine klare langfristige Strategie. "Ich halte es für einen der größten Mängel der EU, dass sie in der Außen- und Sicherheitspolitik keine wirkliche Strategie hat", so Swoboda. Hier müsse auch von seiner Partei, der SPÖ, mehr kommen, forderte er. Zwar sei es "richtig, dass die SPÖ eine Globalisierungsstrategie hat, die mehr auf Gleichgewicht bedacht ist", doch würde er sich wünschen, dass man sich mehr mit China auseinandersetze und positive Vorschläge mache, wie die Globalisierung aussehen könne.
 
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätte Russland in ein europäisches Sicherheitssystem eingebunden werden müssen, denn damals sei Russland dem Westen durchaus positiv gegenüber eingestellt gewesen, kritisierte Swoboda weiter. Die Strategie der EU in der Ukraine-Krise halte er aber grundsätzlich für richtig. "Das Sanktionsregime war eigentlich der Ausweg zwischen Militarisierung und dem Nicht-Reagieren." Die Frage bei Sanktionen sei jedoch immer, wie man davon wegkomme. Gegenüber der Ukraine forderte er die EU auf, durchaus kritischer gegen das "Fortbestehen des oligarchischen System" vorzugehen und vehementer Reformen einzufordern.
 

Thema Türkei

Die Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hält er indes primär für innenpolitisch motiviert, weil es auf EU-Ebene hierfür sowieso keine Mehrheit gebe, betonte Swoboda. Zwar sei ein EU-Beitritt "völlig irreal geworden, durch das Verhalten von Erdogan", trotzdem sei eine Gesprächsbasis mit der Türkei wichtig. Auch brauche es eine pragmatische Lösung für eine künftige strukturelle Zusammenarbeit. "Die Balkanroute sei nämlich nur durch das Abkommen mit der Türkei geschlossen worden", so Swoboda.
 
Ein Ende des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei hätte starke Auswirkungen auf die Balkanländer und Griechenland, befürchtet er. Den Vorschlag der EU-Kommission, dass zumindest einige der Westbalkanländer bis 2025 der EU beitreten könnten, halte er aber für unrealistisch. Vielmehr gelte es, diese Länder schon vor einem Beitritt stärker an die EU anzubinden und zu Sicherheitspartnern zu machen.
 
Auch im Mittelmeerraum müsste die wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgebaut und Bildungs- und Ausbildungsprogramme für die Jugend geschaffen werden, forderte Swoboda. Überhaupt sei eine viel "breitere Entwicklungspolitik" notwendig, einfach nur Geld nach Afrika zu schicken, sei zu wenig. "Finanzielle Hilfen sollten wir dort geben, wo es Katastrophen gibt", nötig sei aber "eine Revolutionierung der Entwicklungszusammenarbeit."
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