Wahl-Analyse

Rennen um den (die) Vizekanzler(in)

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Kurz steht als nächster Kanzler fest – doch wer regiert mit ihm? Vier Kandidaten stehen für den Vizekanzler-Posten bereit. Noch ist alles offen.

In einer Hinsicht haben wir es in diesem Wahlkampf mit einer echten Innovation zu tun. Noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik stand bereits lange vor der Wahl fest, wer danach Kanzler sein wird. Selbst Sonnenkönig Bruno Kreisky musste sich noch Kanzler-Duelle mit den jeweiligen Herausforderern liefern. Sebastian Kurz hingegen hat keinen Gegner. Am 29. September geht’s nur mehr um den Vizekanzler. Hier ist allerdings tatsächlich noch (fast) alles offen.

Vizekanzler Hofer: Kann er die Einzelfälle stoppen?

Wer den überaus höflichen Umgangston mitbekommen hat, den Sebastian Kurz und Norbert Hofer miteinander beim TV-Duell gepflegt haben und der sicher nicht nur der Erkrankung des FPÖ-Chefs geschuldet war; wer die inhaltlichen Zugeständnisse der ÖVP an den Ex-Partner registriert (Schwenk zurück zu einer härteren Asyllinie, mögliche Aufweichung des Rauchverbots), wird den Eindruck nicht los, dass da wieder zarte Bande geflochten werden.

Freilich: Seine gesamte Barschaft sollte man auf eine Neuauflage nicht verwetten. Sebastian Kurz weiß: Die nächsten Einzelfälle passieren bestimmt. Ein noch so konzilianter und kooperationswilliger Hofer wird die Rattendichter, die Mischkultur-Philosophen, die Identitären-Versteher und die Stenzel Uschi nicht unter der Tuchent halten. Das kostet auch Kurz internationale Reputation – und die ist ihm wichtig.

Außerdem: Auch wenn die FPÖ auf das Innenministerium oder ein anderes Ressort für Herbert Kickl verzichtet, wird ihm dieser als Klubchef quälen.

Vizekanzlerin Rendi: Nur, wenn sie nicht zu viel verliert

Obwohl die fast körperlich zu spürende Abneigung von Sebastian Kurz und seiner Entourage gegenüber „den Roten“ fast zu greifen ist, neigen immer mehr in der ÖVP dazu, diese „Krot zu schlucken“. Derzeit dominiert wohl auch in der SPÖ die Fraktion jener, die unbedingt in die Regierung zurück wollen. Und mit dem Argument, das sei die einzige Möglichkeit, Türkis-Blau II zu verhindern, wird wohl auch der Rest der so staatstragenden Partei zu überzeugen sein.

Allerdings: Das geht wohl nur, wenn die SPÖ am 29. September einigermaßen respektabel abschneidet. Gehen die Verluste stark Richtung 20 Prozent und/oder zieht die FPÖ, Kreisky im Himmel mag abhüten, an der SPÖ vorbei, ist nicht mehr auszurechnen, wer dann die Partei übernehmen wird.

Ein Gewerkschafter wie Wolfgang Katzian würde sich wahrscheinlich zweimal überlegen, mit einer dermaßen geschwächten Partei in eine Koalition mit einem übermächtigen Sebastian Kurz zu gehen. Das Beispiel der deutschen SPD, die gerade in einer „großen“ Koalition in Richtung Kleinpartei trudelt, ist ein zusätzliches Gegenargument.

Vizekanzlerin Meinl: Sie wäre Kurz’ Traumpartnerin

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger wäre sicher die Traumpartnerin für Sebastian Kurz. Inhaltlich gibt es mit den Neos die meisten Überschneidungen, mit ihnen könnte die ÖVP ihren neoliberalen Kurs fortsetzen, ungebremster noch als mit den Freiheitlichen, und man könnte der Regierung ein menschlicheres Antlitz verpassen. Zu Zugeständnissen in der Asyl- und Migrationspolitik wäre die ÖVP sicherlich bereit. Ein „Leuchtturmprojekt“ bei der Bildung, dem Lieblingsthema der Pinken, noch dazu – fertig wäre die Traumehe. Mit so einem Partner könnte sich Sebastian Kurz auch auf dem internationalen Parkett ­sehen lassen.

Doch wie so oft im Leben: Mit der Traumfrau wird’s nichts werden. ÖVP und Neos kommen zurzeit laut Umfrage auf 44 %, sprich 84 von nötigen 92 Mandaten – das ist auch in zwei Wochen nicht aufzuholen.

Vizekanzler Kogler: Nr. 2 bei einem flotten Dreier

Mit den Grünen wäre es inhaltlich für die ÖVP sicher am schwersten. ÖVP und Umweltpartei sind in fast allen wichtigen Punkten unterschiedlicher Meinung. Außerdem gilt auch hier: Rechnerisch wird es sich nicht ausgehen. Zwar liegen die Parteien gemeinsam bei 46 % und kämen auf 88 Mandate, das könnte sich mit einem starken Finale sogar noch ausgehen. Doch Sebastian Kurz wird nicht riskieren wollen, nur mit einer hauchdünnen Mehrheit zu regieren. Dazu ist das ­Sicherheitsdenken bei ihm zu stark ausgeprägt.

Natürlich wäre Kogler auch bei der aktuellen Lieblingsvariante der fantasiebegabte Vizekanzler: bei der ersten Dreierkoalition in der Geschichte der Zweiten Republik, also einer Regierung aus ÖVP, Grünen und Neos. Auch wenn es Kurz, Kogler und auch Meinl-Reisinger nicht an Flexibilität mangelt – inhaltlich ist es schwer vorstellbar, wie die drei unter einen Hut zu bringen wären. Ein kleineres Problem wäre wahrscheinlich die Gesellschaftspolitik, aber wirtschafts- und sozialpolitisch kann es den Grünen nicht leichtfallen, ÖVP und Neos zu folgen.

Ergo: Unwahrscheinlich, aber wenn sich gar nichts anderes ausgeht …

Werner Schima

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