FPÖ: "Panikmache"

Kogler fordert: Kein EU-Geld für Orbans "Semidiktatur"

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Edtstadler kritisiert mangelnde Befristung - Luxemburg für 'strikte Quarantäne' Ungarns - Berlin besorgt.

Budapest/Brüssel. Die EU ringt weiter um eine Reaktion auf die Selbstausschaltung des ungarischen Parlaments in der Coronakrise. Während sich die deutsche Regierung am Mittwoch in besorgt zeigte, forderte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) einen Entzug von EU-Geldern für die "Semidiktatur" Ungarn. Mitgliedsparteien der Europäischen Volkspartei (EVP) verlangten einen Ausschluss von Ungarns Regierungspartei Fidesz.

"Die Europäische Union muss hier von sich aus einschreiten. Es ist auch nicht einzusehen, einer solchen Semidiktatur Unionsgelder anderer demokratischer Staaten zukommen zu lassen", sagte Kogler der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" laut Vorausmeldung vom Mittwoch. Bereits am Dienstag hatte er im Ö1-Morgenjournal gesagt, dass man den ungarischen Beschluss "nur schärfstens kritisieren" könne und einen Dissens mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Abrede gestellt.

Edtstadler äußerte ebenfalls Kritik

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) äußerte ebenfalls Kritik. "Ich sehe dieses Gesetz insofern kritisch, als es keine Befristung gibt. (...) Die Frage ist, wer sagt, wann die Krise dann beendet ist", sagte sie am Mittwoch bei einer Online-Diskussion der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Sie betonte, dass gerade in Krisenzeiten die Europäische Menschenrechtskonvention und europäische Werte eingehalten werden müssten. Zugleich äußerte sie Unterstützung für die Aktivitäten der EU-Kommission.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sprach sich für eine Isolierung Ungarns auf EU-Ebene aus. "Ungarn gehört ohne Zeitverlust in eine strikte politische Quarantäne. Die ungarische Regierung darf keinen Platz mehr haben am Tisch der europäischen Institutionen, und vor allem darf eine Regierung, die unbefristet von keinem Parlament mehr kontrolliert wird, nicht mitentscheiden bei Sachentscheidungen in den einzelnen Ministerräten, die am Ende alle Menschen in Europa betreffen", sagte Asselborn der Tageszeitung "Die Welt" (Mittwochsausgabe). "Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass innerhalb der EU eine diktatorische Regierung existiert."

Zurückhaltender fiel die Reaktion Deutschlands aus. "Ein Notstandsgesetz mit weitreichenden Einschnitten ist ein Anlass zur Sorge", sagte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Maria Adebahr, am Mittwoch in Berlin. Staatsminister Michael Roth werde auch deswegen noch im Tagesverlauf mit der ungarischen Justizministerin Judit Varga telefonieren. Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer betonte, man lebe zwar in außergewöhnlichen Zeiten. "Aber in Krisenzeiten schlägt eben auch die Stunde des Rechtsstaates."

Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn

Gegen Ungarn läuft bereits ein Rechtsstaatsverfahren der Europäischen Union, das in letzter Konsequenz zum Entzug von Stimmrechten führen kann. Ein Erfolg dieses Verfahrens ist jedoch fraglich, weil sie Budapest auf die Unterstützung Polens verlassen kann, gegen das ebenfalls ein Artikel-7-Verfahren im Gange ist. Für den Stimmrechtsentzug ist nämlich eine einmütige Entscheidung der restlichen Mitgliedsstaaten erforderlich.
 
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte am Dienstag schaumgebremst auf den ungarischen Beschluss vom Vortag reagiert. In einer Erklärung pochte sie darauf, dass Notmaßnahmen "nicht unbegrenzt" dauern dürfen, nannte aber Ungarn nicht beim Namen. Der belgische Liberale Guy Verhofstadt twitterte daraufhin, das Schweigen der Kommission sei ohrenbetäubend.
 
EU-Budgetkommissar Johannes Hahn bezeichnete die Entwicklung in Ungarn als "besorgniserregend". "Die zuständigen Kommissionsmitglieder Vera Jourova (Justiz, Anm.) und Didier Reynders (Rechtsstaat) sind dabei, die Lage zu analysieren. Man muss klären, wo die Zuständigkeiten der Kommission liegen und welche Maßnahmen gegebenenfalls gegen europäisches Recht verstoßen", sagte Hahn, der auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei (EVP) ist.
 
Die irischen und dänischen EVP-Mitgliedsparteien forderten indes bereits einen Ausschluss der rechtskonservativen Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban aus der gemeinsamen EVP-Fraktion. "Viel zu lange haben wir dem Niedergang der Demokratie zugeschaut, der in Budapest stattgefunden hat", schrieb etwa die dänische Christdemokratin Pernille Weiss. Fidesz stellt 13 der 187 EVP-Abgeordneten und zählt damit zu den größten nationalen Delegationen der stärksten Kraft im Europaparlament. Die Fidesz-Mitgliedschaft in der EVP ist bereits seit einem Jahr suspendiert, ein dreiköpfiger Weisenrat, dem auch Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) angehört, prüft derzeit den weiteren Umgang mit der Partei.

FPÖ verteidigte das Notstandsgesetz

Der FPÖ-Europaabgeordnete Georg Mayer verteidigte indes das umstrittene ungarische Notstandsgesetz, das der Regierung weitreichende Vollmachten gibt. "Die ungarische Regierung hat in einer Notlage, so wie andere europäische Regierungen auch, verfassungskonform gehandelt. Es ist kontraproduktiv, vor allem vonseiten der medialen Berichterstattung, Panikmache zu verbreiten", sagte Mayer am Mittwoch. "In Zeiten der Krise können wir uns das nicht leisten, da dadurch nicht nur die Bürger verunsichert werden, sondern man sich befreundete Nachbarländer zu Feinden macht", warnte Mayer.
 
Dagegen meinte NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon, es sei "richtig Viktor Orban eine schlechte Intension zu unterstellen, weil er hat die einfach". Er handle nämlich nicht zum Wohle seiner Bevölkerung, sondern "um seine eigene Macht auszubauen, die Demokratie in Ungarn auseinanderzunehmen und dadurch auch unseren ungarischen Mitbürgern das Recht zu nehmen, parlamentarische demokratische Kontrolle all dieser Notmaßnahmen zu haben", sagte sie in der Online-Diskussion der ÖGfE.
 
Die ungarische Regierung hat sich bisher unbeeindruckt von der internationalen Kritik an dem Notstandsgesetz gezeigt. Vielmehr brachte sie nun auch noch ein Gesetz ein, das den Bürgermeistern Befugnisse entziehen und sie sogenannten Schutzkommissionen übertragen soll. Damit würde die Opposition weiter geschwächt, hat sie doch bei den Kommunalwahlen im Oktober die Kontrolle über die Hauptstadt Budapest und weitere Großstädte erlangt. Immerhin kündigte das Verfassungsgericht am Mittwoch an, die nunmehr ohne parlamentarische Kontrolle amtierende Regierung künftig stärker kontrollieren zu wollen. "In Ermangelung von Sitzungen des Parlaments" werde das Höchstgericht nun den Entscheidungen der Regierung eine "besondere Aufmerksamkeit" widmen, teilte Verfassungsgerichtshofspräsident Tamas Sulyok am Mittwoch mit.
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