Ungeachtet von Drohungen

EU-Staaten überstimmen Ungarn und Polen in Rechtsstaatsstreit

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Ein entsprechender Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bekam am Mittwoch in Brüssel die erforderliche Unterstützung, wie ein Sprecher mitteilte.

Warschau/Brüssel/Budapest. Eine Mehrheit der EU-Staaten hat ungeachtet von Drohungen aus Ungarn und Polen ein Verfahren zur Bestrafung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Union in die Wege geleitet.

Ein entsprechender Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bekam am Mittwoch in Brüssel die erforderliche Unterstützung, wie ein Sprecher mitteilte.

Damit können nun Verhandlungen mit dem Europaparlament beginnen. In diesen dürfte das geplante Verfahren sogar noch einmal verschärft werden. Etliche Abgeordnete hatten den Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zuletzt als zu vorsichtig bezeichnet.
 
Brisant ist der Mehrheitsbeschluss vom Mittwoch, weil Ungarn und Polen mit einer Blockade von wichtigen EU-Entscheidungen zum langfristigen Gemeinschaftsbudget drohen, sollte man den neuen Rechtsstaatsmechanismus einführen. Dies könnte zum Beispiel dazu führen, dass das geplante Corona-Konjunkturprogramm nicht starten kann.
 
Der Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sieht unter anderem vor, Kürzungen von EU-Finanzhilfen zu ermöglichen, wenn Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit "in hinreichend direkter Weise" Einfluss auf die Haushaltsführung und die finanziellen Interessen der Union haben.

EU-Kommission hatte eigentlich anderen Vorschlag

Die EU-Kommission hat eigentlich vorgeschlagen, Strafen schon dann zu ermöglichen, wenn ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit die Grundvoraussetzungen für eine wirtschaftliche Budgetführung zu beeinträchtigen droht.
 
Es hätte nach Auffassung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft allerdings gegen einen Beschluss des EU-Gipfels im Juli verstoßen, daran festzuhalten. Dort hatten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten festgelegt, dass nur "im Fall von Verstößen" Sanktionen möglich sein sollen.
 
Aus den Reihen des Europaparlaments hatte man die vorgesehene Aufweichung des geplanten Mechanismus zuletzt scharf kritisiert. Abgeordnete bezeichneten den Anfang der Woche vorgelegten Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter anderem als Zeichen von "Feigheit und Prinzipienlosigkeit". Auch den Regierungen in den Niederlanden, Finnland, Schweden, Dänemark und Belgien geht er nicht weit genug. Sie konnten ihn am Mittwoch aber im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten ebenso wenig blockieren wie Ungarn und Polen.
 
Die ungarische Regierung hatte den Vorschlag am Dienstag als "inakzeptabel" bezeichnet. Justizministerin Judit Varga erklärte am Dienstagabend auf Facebook, der Vorschlag würde eine einseitige Änderung der EU-Verträge bedeuten und damit gegen die grundlegenden Werte der Europäischen Union verstoßen. Varga sprach in diesem Zusammenhang von "Erpressung".
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